So ganz mag man dem meteorologischem Wunder nicht glauben. Der März ist in Hamburg ein Wintermonat! Und damit basta!
Hm, und wenn doch?
Jetzt schnell! Das Fach mit den Sportklamotten durchwühlen! Ich zermartere mir das Hirn. Was muss man Mitte März bloß alles anziehen, um auf dem Sattel nicht zum Eiszapfen zu erstarren? Wie viele Lagen müssen sein? Gehen kurze Socken? Wo ist bloß die verhasste Regenjacke hin? Und dann bekomme ich noch einen seltsamen Tipp:
"Kauf Dir Gamaschen! Warme Füße sind das A und O für die wohlige Erstausfahrt!"
Gamaschen? Ähm, okay? Ist das nicht eher so ein Accessoire aus Entenhausen? Für jeden Tipp dankbar, kaufe ich noch am selben Abend Gamaschen. Was für seltsam aussehende Dinger! Nein, dieser Sport läßt einen nicht immer sexy aussehen - jedenfalls nicht mit all diesen seltsamen Kleidungsstücken, die sich so nach und nach ansammeln und übergestreift werden müssen!
Mir egal! Sonntag, und wir haben 16 Grad Außentemperatur! 8 bar sind voller Elan auf die Räder gepumpt. Es wird alles angezogen was der Schrank hergibt: Gepolsterte Unterhose, lange Sportsocken, lange Laufhose, darüber eine gepolsterte kurze Radhose. Den Oberkörper wärmen ein langärmeligen Baselayer mit Windstopper, ein Paar Armlinge, eine Regenjacke und über der Regenjacke ein Sommertrikot! Mehr fällt mir nicht ein, mehr ist nicht vorhanden. Jetzt noch Schuhe an und die brandneuen Gamaschen überstreifen! Ganz schnell, lieber ohne zu Gucken, am Spiegel vorbei huschen!
Direkt vor der Haustür scheint die Sonne! Mir bricht schon beim Rumtippen auf dem Handy der Schweiß aus. Völlig verunsichert ob mein Outfit nicht doch total daneben ist, unterdrücke ich den Impuls, wieder hoch zu rennen und mich auszupellen. Gut so, denn die Sonne verschwindet sofort wieder hinter dicken Wolken, und der Fahrtwind kühlt doch noch mächtig runter. Auch die Handschuhe sind keineswegs übertrieben!
Mit jedem Kilometer, den ich zurücklege werde ich ein Fan meiner neuen Gamaschen. Der rechte Fuß sagt wohlig "Ah", der linke antwortet entzückt mit "Oh"! In Blankenese kommen mir die ersten Rennradfahrer entgegen. Man lacht sich an, alle winken glücklich grüßend durch die Gegend. In Wedel ist der Deibel los. Im leeren Hafenbecken treibt noch mächtig viel Eis, doch vor den Fischbrötchen-Buden stehen endlos lange Menschenschlangen wie sonst nicht mal während des sommerlichen Hafenfests!
Richtig schön einsam wird es erst hinter Fährmannssand. Das Allerbeste: es sind noch keine Schafe draußen! Der Deich ist noch nicht eingesaut, kein Schaf steht im Weg rum und droht, unkontrolliert vor den Lenker zu springen! Alle Gatter sind geöffnet! HERRLICH!
Nach der angestammten Hausrunde über Heist und Holm bekomme ich Gegenwind! Nicht schlimm, aber es reicht nach monatelanger Flaute auf dem Wattbike! Mit langsam schwerer werdenden Beinen geht es zurück nach Wedel. Zwei Herren überholen, und ich hänge mich freudig hinten dran.
Zurück in Wedel fallen die ersten Tropfen. Der Regen nimmt zu, reicht aber noch nicht für einen Abbruch - nicht nach fünf Monaten aufgezwungenem Indoortraining! Nein! Also gibt es auf dem Rückweg noch ein bisschen Ballern über die Elbchaussee. Noch ein kurzer Fotostop in Teufelsbrück und dann ab nach Hause!
Später, bereits die Grillzange in der Hand, fasse ich mal zusammen: nach fünf Monaten verhasstem Indoortraining versetzt einen die Erstausfahrt des Jahres in absolute Euphorie! Mein Sammelsurium von Sportkleidung reicht für bewölkte 16 Grad ohne großartigen Wind voll aus. Die Gamaschen sind natürlich DIE Neuanschaffung des Jahres!
Man muss sie einfach mögen!